MASSNAHMEN ZUM SCHUTZ VON MITTELSTÄNDISICHEN LEBENSMITTEL-PRODUZENT/INNEN UND LEBENSMITTELPRODUZIERENDEN BÄUERLICHEN STRUKTUREN.


Der SENAT DER WIRTSCHAFT richtet mit diesem PLÄDOYER einen dringenden Appell an Frau Elisabeth Köstinger, Bundesministerin für Nachhaltigkeit und Tourismus, und an Frau Dr. Margarete Schramböck, Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, umgehend ein Regelwerk zu erarbeiten, welches die Monopolisierung von Lebensmittel durch den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und Großproduzenten, verbunden mit der Ausübung von Marktmacht verhindert, um mittelständische und kleinbäuerliche ProduzentInnen zu schützen und die Vielfalt an Nahrungsmittel zu erhalten.

Außerdem fordern wir die vorgenannten Bundesministerinnen auf, im Rahmen des Europäischen Rates zu thematisieren, dass es vordergründig um ein Regelwerk zum Schutz mittelständischer Lebensmittel-ProduzentInnen an sich gehen muss, die von den bäuerlichen Betrieben beliefert werden. Bäuerliche Strukturen haben nämlich nur in Ausnahmefällen direkten Kontakt mit dem LEH, womit deren Schutz nur über die mittelständischen Lebensmittel-ProduzentInnen erreicht werden kann.

ZUSAMMENFASSUNG

  • Das Ungleichgewicht zwischen der Anzahl an Handelsstrukturen und lebensmittelproduzierenden Unternehmen führt unter Ausnutzung der Marktmacht durch den LEH zu existenzbedrohenden Verhältnissen für kleine und mittlere ProduzentInnen, wie dies vom SENAT DER WIRTSCHAFT bereits seit 2014 bei verschiedensten Gelegenheiten thematisiert wird und nun von Bundesministerin Elisabeth Köstinger folgerichtig kommentiert wurde. Jetzt müssen entsprechende konkrete Maßnahmen folgen. Welcher Ausrichtung diese folgen sollten ist Gegenstand dieses Dokuments.
  • Der Vielzahl an Lebensmittel-ProduzentInnen (Industrie, Mittelstand, landwirtschaftliche Produ-zentInnen) stehen im Wesentlichen nur noch vier Lebensmittelhandelsketten (REWE, SPAR, Hofer, Lidl) gegenüber, die gemeinsam den Markt mit einem Anteil von über 85 % abdecken.
  • Der zunehmende Druck auf die HerstellerInnen, auch „Eigenmarken des Handels“ zu produzieren, führt einerseits zu einem Abhängigkeitsverhältnis der LieferantInnen, verbunden mit dem erheblichen Risiko der Austauschbarkeit. Dem Handel gehört die Marke und in vielen Fällen auch die Rezeptur. Dabei werden die eigenen Produktmarken der ProduzentInnen mit meist höherer Lebensmittelqualität nachhaltig beschädigt und diese werden daher immer häufiger vom Markt verschwinden.
  • Eine weitere Hürde für Lieferungen an den LEH ist die durch den Handel geforderte Zertifizierung nach dem Lebensmittelsicherheitsstandard IFS-Food. Dieser Standard wird durch eine Tochterfirma des Handelsverbandes Deutschland e.V. (HDE) erstellt und verwaltet und hat daher eine Monopolstellung gegenüber anderen, gleichwertigen internationalen Standards.
  • Die, durch den größten Handelsbetrieb Österreichs geforderte, „freiwillige, unangemeldete Zertifizierung“ – wenngleich auch nur für Eigenmarken oder Exklusivmarken – bringt für viele Betriebe eine unlösbare Aufgabe mit sich, wodurch zukünftig mit hoher Wahrscheinlichkeit eine noch größere Anzahl von Klein- und Mittelbetrieben als LieferantInnen des LEH ausscheiden werden.
  • Unsere Lebensmittelbetriebe müssen vor der missbräuchlichen Ausnutzung von Monopol- bzw. Oligopol-Stellungen und Marktmacht geschützt werden, zumal der LEH in zunehmendem Maße eigene Produktionsstätten errichtet, die zum Teil KEINEN Zertifizierungen unterworfen sind!
  • Diese Situation ist nun offensichtlich auch den Institutionen der Europäischen Union bewusst geworden und diese hat im April 2018 eine diesbezügliche Stellungnahme inkl. Richtlinienvorschlag veröffentlicht (Siehe „Literatur & Links“). Dieses PLÄDOYER verfolgt den Zweck aufzuzeigen, welche grundsätzliche Ausrichtung Handlungsempfehlungen und Maßnahmen haben sollten, die jetzt formuliert werden müssen und welche Aspekte dieses komplexen Themas dabei besondere Beachtung finden müssen.

DETAILINFORMATIONEN

Grundsätzliches

Der SENAT DER WIRTSCHAFT hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Monopolisierung der Lebensmittel aufzuzeigen und damit zu versuchen, die Vielfalt und Qualität der erzeugten Lebensmittel zu erhalten, womit gesundheitliche Aspekte unmittelbar verbunden sind. Viele hochwertige Produkte mittelständischer LebensmittelproduzentInnen verschwinden, da nur mehr gekauft werden kann, was der LEH als Eigenmarke anbietet (Schnelldreher, Mengenartikel). Platz bleibt nur für wenige Nischenprodukte (Produkte mit geringen Mengen), da der Platz in den Regalen begrenzt ist.

Auf der Basis der im April 2018 von der EU veröffentlichten Stellungnahme inkl. Richtlinienvorschlag werden in diesem PLÄDOYER daher Detailinformationen geboten, um eine sinnvolle und faktenkorrekte Ausrichtung der notwendigerweise zu treffenden Maßnahmen zu ermöglichen.

Der LEH wird zum Produzenten

Zwischen HerstellerInnen und Lebensmittel-Einzelhandelsketten besteht in verschiedenen Sektoren ein horizontaler Wettbewerb. Als Hersteller von Lebensmitteln sind unter anderem die Ketten REWE, SPAR und Hofer (Aldi) tätig. Die handelseigene Herstellung bezieht sich unter anderem auf die Sektoren Fleisch, Backwaren, Süßwaren und Erfrischungsgetränke. Damit stellen sie im Standardsortiment eine direkte Konkurrenz zu den mittelständischen LebensmittelproduzentInnen dar.

Großproduzenten vs. mittelständische ProduzentInnen

GroßproduzentInnen als PartnerInnen des LEH verwenden die Eigenmarkenstrategie des LEH zur Verbesserung der Produktionsauslastung und stehen daher dem durch den LEH erzeugten Marktdruck (Zertifizierung, Gütesiegel etc.) positiv gegenüber. Mittelständische Unternehmen müssen diesem Druck nachgeben und scheiden daher immer öfter als LieferantInnen – und damit als KonkurrentInnen der Großproduzenten – aus.

Ein Beispiel dafür sind landwirtschaftliche Nischenprodukte (z. B. Heumilch und Heumilchkäse), die zum Nachteil kleinbäuerlicher ErzeugerInnen als Prestigeprodukte der Eigenmarke vereinnahmt werden. Dies wird durch die großen Genossenschaftsmolkereien ermöglicht.

Monopol des IFS-Standards

Der „International Featured Standard“ (IFS) ist ein von der IFS Management GmbH in Gestalt mehrerer Einzelstandards entwickeltes Regelwerk, das die Herstellung und den Vertrieb von Lebensmitteln im Auftrag der Lebensmittel-Einzelhandelsunternehmen überprüfbar machen soll. Er umfasst derzeit folgende Standards:

  • IFS Broker
  • IFS Cash & Carry / Wholesale
  • IFS Food Version 6
  • IFS Food Store
  • IFS HPC
  • IFS Logistics und
  • IFS PACsecure.

Gesellschafter der unter HRB 136333B beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg eingetragenen IFS Management GmbH sind:

  • HDE Trade Services GmbH – Am Weidendamm 1 A 10117 Berlin – Beteiligung: Euro 12.500,-
  • edeg – Societe d ́Edition d ́Economie Generale Sedeg S.A.R.L., Paris – Beteiligung: Euro 12.500,-

Die HDE Trade Services GmbH ist eine 100%-ige Tochter des Handelsverbandes Deutschland e.V. (HDE). Der Geschäftsführer der IFS Management GmbH ist gleichzeitig auch stellvertretender Hauptgeschäftsführer des HDE.

Der LEH verlangt von allen seinen LieferantInnen mittlerweile die Zertifizierung nach IFS-Food, dies zum Teil unangemeldet (REWE, Hofer). Für LieferantInnen ist dies Voraussetzung sowohl für Listung, als auch für Lieferung. Der Aufwand dieser Zertifizierung ist für KMUs sowohl in personeller, wie auch in finanzieller Hinsicht, nicht zu bewältigen.

Diese Vermengung von Standardeigner und Standardgeber ist wohl auch kartellrechtlich zu hinterfragen.Ein Ausweichen auf einen anderen, ebenfalls international anerkannten Standard, der der Unternehmensstruktur eines mittelständischen Lebensmittel-Produktionsbetriebs besser angepasst ist, ist nicht möglich.

Zudem sind eigenen Produktionsfirmen des LEH diesen Anforderungen nicht unterworfen, wodurch diesen ein nennenswerter Marktvorteil erwächst. Dieses Ungleichgewicht ist abzustellen, um ein partnerschaftliches Verhältnis von Handel und mittelständischen ProduzentInnen auf Augenhöhe zu gewährleisten.

Gütesiegel und Umwelt-Standards

Zusätzlich zum Monopol des IFS-Standards gibt es eine Unzahl an Gütesiegel und Umwelt-Standards.Diese werden einerseits von verschiedenen Organisationen vorangetrieben und andererseits auch vom LEH eingefordert. Die KonsumentInnen ihrerseits sind damit überfordert und auch nicht wirklich interessiert, wenn man diesbezügliche Umfragen analysiert.

„Ein Drittel der Gütezeichen ist nicht vertrauenswürdig oder sogar kontraproduktiv für die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen… Es ist… für KonsumentInnen schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen.“ Das stellt der „Gütezeichen-Guide von Greenpeace in Österreich“ vom Jänner 2018  bereits auf Seite 3 fest (Siehe „Literatur & Links“).

Daher sollte hier unbedingt eine Bereinigung erfolgen, die sich mit den wesentlichen Merkmalen begnügt. Diese zu definieren und zu standardisieren sollte ein Muss sein.Die Vergabe des AMA-Gütesiegels (wohl das bekannteste Gütesiegel Österreichs) hat beispielsweise als Qualitätsmerkmal seine Wirkung vollkommen verloren, da es sowohl für billige Eigenmarken, als auch für Topqualitäten vergeben wird. Warum sollte ein/e KonsumentIn zum teureren Qualitätsprodukt greifen, wenn das billige Diskontprodukt das gleiche Siegel trägt? Dies führt dazu, dass nun wieder regionale Marken entstehen und die KonsumentInnen weiter verunsichert werden. (Siehe auch PLÄDOYER 2017-Nr.4 des SENAT DER WIRTSCHAFT „Maßnahmenkatalog für ländliche Entwicklung“. Siehe „Literatur & Links“.)

Die Vergabe von Umwelt- und Gütesiegel sollte sich ausschließlich an festgelegten, möglicherweise auch staatlich geregelten Vorgaben orientieren, die natürlich einer genauen Analyse und Definition bedürfen. Einzelne singuläre Anforderungen in Zertifikate umzuwandeln ist nicht zielführend. Hier wäre ein Katalog mit Anforderungen an Produkt und ProduzentInnen zu erstellen.

Aktions-Wildwuchs und Verpackungs-Thematik

In Österreich wird durch den LEH die Bedeutung der Verkaufsaktionen bewusst gefördert.Gemäß einem Interview mit SPAR-Vorstand Gerhard Drexel (medianet, 23. Feb. 2018, siehe „Literatur & Links“) entfallen bereits 33 % des LEH-Gesamtumsatzes auf Verkaufsaktionen. Im Vergleich dazu beträgt dieser Anteil in der BRD lediglich ca. 10 %. Die Kosten dieser Verkaufsaktionen werden in vielen Fällen auf die ProduzentInnen abgewälzt, womit diese in ihrer Wirtschaftlichkeit dadurch wesentlich nachhaltig negativ beeinflusst werden.

Das Verpackungsmüll-Volumen wird dadurch multipliziert: Einerseits durch die steigende Anzahl von Aktionsverpackungen und andererseits durch die LEH-Forderung an die ProduzentInnen nach Kleinstmengen-Verpackungen, was nicht dem internationalen Trend für eine Minimierung der Verpackungsabfälle entspricht.

AN DIE BUNDESMINISTER/INNEN FÜR NACHHALTIGKEIT UND TOURISMUS SOWIE FÜR DIGITALISIERUNG UND WIRTSCHAFTSSTANDORT

Die dringliche Handlungsempfehlung des SENAT

Der SENAT DER WIRTSCHAFT bekennt sich zu folgender Handlungsempfehlung zur umgehenden Umsetzung durch die beiden genannten Bundesministerien:

  • Einsetzung einer Taskforce zur Erarbeitung eines Regelwerks, die die Monopol-Marktmacht des LEH in Beziehung zu den mittelständischen Lebensmittel-ProduzentInnen regelt. Der SENAT DER WIRTSCHAFT steht als Reflexionspartner und Imputgeber zur Verfügung.
  • Von dieser Taskforce sind unter anderem folgende Themen zu behandeln (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
    • Verhinderung der missbräuchlichen Ausnutzung der Marktmacht des LEHs.
    • Aufhebung des Ungleichgewichts bei Verwendung von Lebensmittelsicherheitsstandards.
    • Vereinheitlichung und Straffung von diversen Umwelt- und Gütesiegeln.
    • Definition von einheitlichen Vorgaben für Nachhaltigkeit und Regionalität bei Produktion und Handel.
    • Eindämmung des Aktions-Wildwuchses und Zielvorgaben für die damit einhergehende Verpackungsmüll-Thematik.
  • Die Ergebnisse der Taskforce müssen in die jetzt zur Diskussion stehende Entwicklung von Gesetzesvorlagen auf EU-Ebene in den Rat eingebracht werden, unter Maßgabe der Tatsache, dass es in erster Linie um Regularien für den LEH im Zusammenhang mit den mittelständischen Lebensmittel-ProduzentInnen gehen muss und nicht – wie medial publiziert – um Schutzmaßnahmen für den bäuerlichen Sektor. Dieser hat nämlich mit dem LEH nur in wenigen Ausnahmefällen direkten Kontakt. Daher garantiert nur der Schutz der mittelständischen Lebensmittel-ProduzentInnen in logischer Folge und als positive Wechselwirkungen auch den Schutz des bäuerlichen Sektors.

Wien, 23. April 2018

Für den SENAT DER WIRTSCHAFT Österreich

  • Hans Harrer | Vorstandsvorsitzender
  • Dr. Peter Schneider | Vorsitzender Forum Ernährung
  • Jochen Ressel | Geschäftsführer – Operations

WEITERE INFORMATIONEN

Für zusätzliche und ergänzende Informationen zu diesem PLÄDOYER sowie über den SENAT DER WIRTSCHAFT und seine Aktivitäten, wenden Sie sich bitte direkt an:

  • Jochen Ressel, Geschäftsführer – Operations | SENAT DER WIRTSCHAFT Österreich | j.ressel@senat.at | +43-676-756 756 4
  • Senator KR Dr. Peter Schneider, Experte für Lebensmittelproduktion und LEH, Vorsitzender | Forum Ernährung-Qualität-Fairness des SENAT DER WIRTSCHAFT, Geschäftsführer | Dr. Peter Schneider GmbH – Unternehmensberatung für LebensmittelproduzentInnen im Bereich Qualitätsicherung, Zertifizierungen und Produktion | ps.schneider@outlook.at | +43-664-917 03 95

Der SENAT DER WIRTSCHAFT dankt Senator KR Dr. Peter Schneider für die Inputs bei der Erstellung dieses PLÄDOYERs.

LITERATUR UND LINKS

  1. „EU- Richtlinienvorschlag zur unlauteren Vorgangsweise in der Lebensmittelkette“ vorgestellt von EU-Landwirtschaftskommissar Phil Hogan am 12. April 2018 – https://bit.ly/2qI8z6O
  2. Interview „medianet“ mit SPAR-Vorstand Gerhard Drexel – https://bit.ly/2vp3mpp
  3. „Zeichen-Tricks – Gütezeichen-Guide von Greenpeace in Österreich“ Jänner 2018 – https://bit.ly/2HdVXPa
  4. PLÄDOYER 2017-Nr.4 des SENAT DER WIRTSCHAFT „Maßnahmenkatalog zur ländlichen Entwicklung“ 27. April 2017 –  https://bit.ly/2HgIyWI